D wie Darm oder wie 'Dumm gelaufen' (von Stefanie Mollnhauer, www.pro-formance.de)
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift "condition" 02/04 aus dem Meyer&Meyer Verlag, Aachen.
Ich bedanke mich bei der Autorin Stefanie Mollnhauer für die freundliche Genehmigung, diesen Artikel auf meiner Internetseite zu veröffentlichen.
Das Copyright liegt bei der Autorin.
Karl-Heinz Drösel, auch Kalle genannt, unser Nachbar ist ungefähr 60 Jahre jung. Von unserem Küchenfenster aus können wir täglich folgendes Morgenritual beobachten: Punkt 7:00 Uhr huscht Kalle noch im Pyjama und barfüssig aus der Terrassentür, wirft einen Blick auf das an der Hauswand angebrachte Thermometer, um dann fünf Minuten später perfekt auf die Außentemperatur abgestimmt bekleidet, seinen allmorgendlichen Lauf anzutreten. Selbst letzten Winter bei minus 20 Grad blieben die Füße bei der Thermometeraktion "blank". Wahrscheinlich gehört das schon ins Trainingsprogramm mit hinein und hat irgendetwas mit Kneipp-Kur zu tun. Außerdem frage ich mich, ob der Dröselsche Haushalt mit einem speziellen Laufbekleidungs-Schrank ausgestattet ist, mit Fächern für verschiedene Temperaturbereiche, sodass man beispielsweise bei zehn Grad einfach in das Zehn-Grad-Fach greift und schon findet man eine lange Tight, ein langes Funktionshirt und eine Windstopperweste. Anders ist dieses unmenschlich hohe Ankleid-Tempo am frühen Morgen kaum zu erklären.

Das hohe Tempo setzt sich mit Überschreiten der Türschwelle auch gleich fort. Nachdem Kalle die Haustür elanvoll zugeworfen hat, wodurch seine Frau spätestens jetzt aus dem Bett geworfen wird, legt er ein solches Tempo vor, dass ich bei meiner ersten Beobachtung von Kalles Morgenritual dachte, er würde vor dem Nachbarshund oder seiner Frau flüchten. Bei seiner Rückkehr sieht das schon ganz anders aus: Das Lauftempo hat sich - grob geschätzt halbiert, was auch sinnvoll ist, wenn man seine doch erhebliche Gesichtsröte als Anstrengungsindikator heranzieht. 

Gestern erblicke ich Kalle zu meiner größten Verwunderung mit zerknittertem, schneeweißen Gesicht, in kurzen Hosen und T-Shirt vor unserer Tür - bei übrigens exakt – 5 Grad. Die Erklärung lässt nicht lange auf sich warten. Nachdem die anstrengungsbedingte Kurzatmigkeit nachgelassen hat, berichtet Karl-Heinz von seinem morgendlichen Fiasko: Letzte Woche habe er einen hervorragenden Artikel in seinem Lieblingslaufmagazin "High-Speed" über "neue Trainingsmethoden für den ambitionierten Hobbysportler im Winter" gelesen habe, die er dann auch sofort konsequent umgesetzt hätte. Da auf Kalles neuem Trainingsplan - übrigens auch aus der "High-Speed" - heute ein Lauf im Wettkampftempo auf dem Programm stand, wie er berichtet, hervorragender Plan übrigens, hätte er einfach seine Wettkampfbekleidung gewählt, zumal die Bestzeit auf der Hausrunde dieses Jahr noch ausstünde 

... Auf meine vorsichtige Frage, ob er sich denn wenigstens wie im Wettkampf locker warmgelaufen hätte, erhalte ich ein schuldbewusstes Kopfschütteln ... aha. Aber er sei wirklich nicht schnell angegangen ... Zudem habe er sich heute, die Bestzeit auf der Trainingsrunde fest im Visier, das HighSpeed-Super-Gel, das brandneu im Versandshop seines Laufmagazins angeboten wird, hervorragendes Gel übrigens, kurz vor dem Start und dann noch eines am Wendepunkt seiner Trainingsrunde gegönnt. Der Geschmack sei nicht das Gelbe vom Ei gewesen, aber er habe sofort beschleunigen können. Ein paar Minuten später sei es dann passiert: Erst ein unmenschliches, messerstichartiges Ziehen in der linken Wade, was er, die Zähne aufeinander beißend, noch ertragen habe. "Aussteigen" gäbe es auch im Training nicht, getreu dem Motto: "Was nicht tötet, härtet ab". Als sich dann aber kurze Zeit später auch noch sein "Magen umgedreht" hätte, sei er nur noch von Busch zu Busch gesprintet. Genauere Ausführungen fordere ich nicht an, das kalkweiße Gesicht spricht Bände. Wie ich ihm nun helfen könne, interessiert mich. Nun ja, seine Frau wäre von der "übertriebenen" Lauferei ja sowieso nicht begeistert und vielleicht könnte ich ein gutes Wort einlegen, die Wogen etwas glätten, von Frau zu Frau sozusagen. Ich "verschreibe" Kalle Tee, isotonisches Getränk, Ruhe, warme Klamotten und einen kritischeren Umgang mit den Tipps aus seiner "High-Speed". Die Sache mit seiner Frau muss er allerdings selber klären, "Aussteigen" gibt es da nicht! 

Bei Ausdauersportlern, insbesondere im Zusammenhang mit Langdistanz-Wettkämpfen, stehen Magen-Darm Probleme fast schon an der Tagesordnung, weshalb sich schon etliche Wissenschaftler dieses Problems angenommen haben. So fanden Halvorsen et al. bei leistungsorientierten Marathonläufern in 54 Prozent der Fälle gastrointestinale, also Magen-Darm-Beschwerden, wobei 42 Prozent über Durchfall, 27 Prozent über Bauchkrämpfe, 20 Prozent über Übelkeit und Erbrechen und fünf Prozent über Blut im Stuhl nach oder während eines Marathons klagten. Grund genug, sich dieser Thematik anzunehmen.

Was passiert nach dem ersten Schluck oder Bissen?

Der Transport und Verdauungsprozess beginnt bereits im Mund, setzt sich über die Speiseröhre und den Magen fort, um schließlich die verschiedenen Darmabschnitte zu passieren. Der oberste Darmabschnitt ist der drei bis fünf Meter lange Dünndarm. Täglich gelangen ungefähr neun Liter Flüssigkeit in den Dünndarm. Davon stammen insgesamt ca. sieben Liter aus Sekreten von Speicheldrüsen, Magen, Bauchspeicheldrüse, Galle und dem Dünndarm selbst. 90 Prozent dieser Flüssigkeit tritt aus dem Dünndarm wieder in das Lymph- und Kapillargefäßsystem über. Diesen Vorgang nennt man Resorption. Ist der Gehalt an "osmotisch wirksamen Teilchen" wie Elektrolyten, Aminosäuren und Zucker im Dünndarm sehr hoch, wird entsprechend weniger Flüssigkeit resorbiert. Schon hieraus lässt sich ableiten, dass ein sehr zuckerhaltiges (Sport-) Getränk länger im Dünndarm verweilt, unter Umständen sogar ein "Glucksen" und unangenehmes Völlegefühl hervorruft und nicht - wie meist erwünscht, schnell vom Körper aufgenommen wird. Die Aufnahme von aufgespalteten Nahrungsbestandteilen, Elektrolyten, Vitaminen etc. erfolgt zum einen passiv, zum anderen über aktive Transportmechanismen. Bestimmte Zucker, wie Glucose beispielsweise, benötigen einen solchen aktiven Transport, der Energie verbraucht und bei Sauerstoffmangel störanfällig ist.
Kommen wir zurück auf unser glucosehaltiges Sportgetränk: Bei intensiven Belastungen im Lauf - oder Radsport wird das Blut - und damit der Sauerstofftransport - vermehrt in die Beine "umgepoolt", da die Muskelarbeit dort vermehrt Sauerstoff benötigt. Die Magen-Darm-Durchblutung nimmt ab und es wird auch dem aktiven Transportmechanismus für Glucose weniger Sauerstoff zur Verfügung gestellt. Folge: Auch der Zucker geht nicht wie erwünscht schnell in den Körper über, sondern verbleibt im Darm und hält über seine osmotische Wirkung zudem auch noch Wasser im Darmlumen zurück.

An dieser Stelle sei noch kurz die "erosive Gastritis" erwähnt. Durch das oben beschriebene "Pooling" von Blut in den Beinen kommt es auch zu einer verminderten Magendurchblutung, die auf bis zu 20 bis 30 Prozent des Ausgangswertes erniedrigt sein kann. Als Folge kommt es zu reparablen Schleimhautschäden in einem Teil des Magens mit den Hauptsymptomen Magendruck, Durchfall und Blut im Stuhl.

Der Darminhalt wird über die so genannte Peristaltik fortbewegt. Die Darmmuskulatur spannt sich örtlich ringförmig an und erschlafft wieder, um so den Darminhalt vor sich herzuschieben. Sie wird durch den Dehnungsreiz, Nerven und Hormone reguliert. Insbesondere durch nervale und hormonelle Faktoren (Wettkampf oder intensive Belastung als Stressreiz) wird diese Peristaltik heruntergefahren und der Darminhalt verweilt länger als normal im Darm. Im Laufe des Wettkampfs sammelt sich mehr und mehr Darminhalt an, bis der Dehnungsreiz auf die Darmwand so groß wird, dass es zu einer übersteigerten Darmtätigkeit kommt, nicht selten mit der Folge des Durchfalls. Zudem kann es durch eine erhöhte Anstrengung (z.B. Tempoverschärfung oder Bergauf-Passagen) zu einer Druckerhöhung im Magen durch die Bauchmuskulatur und durch die vermehrte Bewegung des Mageninhaltes (z.B. auch bei Bergab-Passagen) zu einer "Sturzentleerung" des Mageninhalts kommen, was zu Übelkeit oder Magen-Darmkrämpfen führen kann.

Vom Dickdarm bis in den Enddarm

Verfolgen wir den Darm nun weiter, gelangen wir in den 90 bis 130 cm langen Dickdarm. Die Hauptaufgabe dieses Darmabschnitts besteht in der Regulation des Volumens und der Elektrolytzusammensetzung des Stuhls. Etwa 1,5 Liter Darminhalt gelangen normalerweise täglich noch in den Dickdarm, werden eingedickt und durch die Peristaltik Richtung Enddarm transportiert. Die Eindickung erfolgt über das Zusammenspiel einer Na+, CI- (NaCl = Kochsalz) und Wasser-Resorption und einer Sekretion von Kalium und Bicarbonat. Da Natrium ebenfalls durch einen Energie und Sauerstoff verbrauchenden Prozess resorbiert wird, kann bei intensiver Belastung und damit Sauerstoffunterversorgung dieses Darmabschnitts die Natriumresorption behindert sein und es können Probleme wie oben bereits beschrieben auftreten. Zudem kann es bei lang andauernder Belastung und zusätzlichem Verlust von Natrium über den Schweiß zu einer Natriumunterversorgung kommen. Da Natrium im Wechselspiel mit Kalium an der Muskelkontraktion beteiligt ist, kann es - besonders in Kombination mit einem Flüssigkeitsmangel - zu den gefürchteten Wadenkrämpfen kommen.

Im Enddarm sammelt sich der Darminhalt schließlich so lange an, bis es über einen Dehnungsreiz zu einer Erschlaffung der Schließmuskeln und Darmentleerung kommt.

Einige der oben beschriebenen Auslöser von Magen-Darm-Problemen, wie Sauerstoffunterversorgung des Magen-Darm-Trakts durch Blutumverteilung in die Beine, Hemmung der Darmaktivität oder auch übersteigerte Darmtätigkeit durch Stressfaktoren, werden sich gerade bei hochintensiven Wettkampfbelastungen kaum ausschalten lassen.

Dennoch, Sie können sich selbst magen-darm-freundlich verhalten:

Achten Sie besonders auf Ihre Vorwettkampfkost und bei sehr empfindlichen Personen auch "Vortrainings"-Kost :

• Keine blähende, ballaststoffreiche Kost, stattdessen leicht Verdauliches wie Weißbrot mit Honig.

• Beachten Sie individuelle Nahrungsunverträglichkeiten! Besonderes Augenmerk gilt hier Milch und Milchprodukten. Selbst die heißgeliebte Banane wird im Wettkampf nicht immer toleriert.

• Halten Sie mindestens drei Stunden Abstand zwischen Wettkampf und Hauptmahlzeit.


Während des Wettkampfes:

• Trinken Sie regelmäßig, etwa alle fünf km, einen Becher gut verträgliches Elektrolyt/Kohlenhydratgetränk in leicht hypotoner Konzentration (also etwas geringerer Teilchenkonzentration als im Blut), wie z. B. nutraxx Carbopower.

• Experimentieren Sie mit Ihrer Wettkampfernährung und auch den Getränken unbedingt schon im Training. Was Ihre Vereinskollegen tolerieren, müssen Sie noch lange nicht vertragen !

• Trinken Sie zügig (nicht hastig) eine größere Menge von etwa 200 ml. So kommt es über den Dehnungsreflex des Magens zu einer schnellen Magenentleerung und es kann sich kein großer Mageninhalt ansammeln.

• eine zusätzliche Natriumgabe (eine Prise Kochsalz) in das Sportgetränk macht nur Sinn, wenn Sie eine extrem lange, schweißtreibende Unternehmung, beispielsweise einen Langtriathlon bei Hitze, absolvieren.

• Üben Sie das Trinken aus Bechern während des Laufens ebenfalls schon im Training.

• Versuchen Sie cool zu bleiben, lernen Sie den Wettkampf als Herausforderung und Abenteuer zu empfinden, nicht als zusätzlichen  Stressfaktor im ohnehin meist schon stressigen Alltag!

Text: Stefanie Mollnhauer (mollnhauer@pro-formance.de)